Hausaufgaben – *uffz*

Seit mein Sohn eingeschult wurde, haben wir immer wieder dieses Thema …

Der heilige Gral der Lehrer. Hausaufgaben.
„Übung“. Ich kann es nicht mehr hören.

Mein Sohn ist Autist.
Das ganze Leben ist sortiert. Schule ist Schule und Zuhause ist Zuhause.
Denkste!!!

Dieses „unsortierte“ bringt enorm viel Unsicherheit mit sich. Unsicherheit in einer Welt, die ohnehin schon viel zu unsicher ist.

Schule ist DER Ort der Anpassung

Anpassung kostet Kraft! Viel Kraft.
Und Anpassung erfordert viel Erholungsszeit. Mehr als es sich NT`s vorstellen können. Erholungszeit, die die Kinder aber NICHT HABEN. Es geht ja am nächsten Tag wieder weiter…

Nach einem anstrengenden Schultag kommt er nachhause. AUSGELAUGT.
Oft im Overload. Er WILL ein guter Schüler sein. Nein, noch mehr:

Er ist Perfektionist!

Er ist eigentlich niemals mit sich zufrieden.
Er WILL auch seine Hausaufgaben machen (haben). Und es fällt ihm enorm schwer, wenn er sie nicht gemacht hat. So wie alle anderen Kinder eben auch…
Er war wieder zu schwach – DAS geht in seinem Kopf vor … Er wird den Ansprüchen nicht genüge … Er ist nicht „richtig“. Nicht gut genug. Kaputt.

Das sind die Gedanken die in seinem Kopf kreisen. WEIL er täglich an diese Hürden stösst. Weil ihm täglich gezeigt wird, dass er eben nicht so ist wie andere. WO bleibt da die Inklusion?!

Täglich ist da die dauernde Überflutung sämtlicher Reize. Alle Sinne sind überreizt. Die dringend benötigte längere Erholunszeit, die wir Autisten aber nie bekommen. Dazu gesellt sich eine Unfähigkeit zu entspannen und häufig auch Schlafstörungen.

Schöner Scheiss, gell?!

Am Morgen habe ich mein ausgeruhtes, mediziniertes Kind in die Schule geschickt. Seine „Löffel“ waren noch voll. Und am Mittag kommt es im Overload nachhause, die Medis wirken nicht mehr richtig, alle Löffel sind weg und SO soll ich dann mit ihm Hausaufgaben machen!!!
Seine Hand schmerzt bereits schon lange vom schreiben, aber eine Einsicht das er Hilfe in Form iPad/ Laptop oder was auch immer bekommt, gibt es nicht. TROTZ des Wissens, dass es bei Autisten vermehrt zu motorischen Schwierigkeiten kommt und deshalb schreiben unglaublich anstrengend ist. Zumal schreiben dann eben nicht automatisiert funktioniert wie bei normalen Kinder. Nein – es „zapft“ immer Gehirnleistung ab von dem, was eigentlich gelernt werden sollte.

Häufig kommen nachmittags noch Therapien dazu. Und Planänderungen… Die vielen Termine mit Therapeuten, Schule & Co. sind nicht nur für die Eltern anstrengend. Nein, auch an den Kindern geht das nicht spurlos vorbei. Da wird das Mittagessen verlegt zu Oma & Opa, die Hausaufgabenzeit wird verschoben, Termine fallen deshalb aus ect. ect. …

Ja, da sitzt er dann nun wieder und quält sich. An guten Tagen.
An schlechten Tagen kommen wir gar nicht erst dazu. Da flippt er dann davor schon aus. MELTDOWN. Lernen ist in so einem Zustand definitiv NICHT möglich. Oder ich merke, dass er kurz davor ist. Dann riskiere ich den Meltdown mit den Hausaufgaben.
Den Meltdown mekt man ihm aber am nächsten Tag noch an. Und an dem danach und am darauffolgenden auch noch … „Schlechte Tagesform“ nennen NT`s das dann. ABER HEY – NEIN, das kommt nicht einfach so! So eine schlechte Tagesform! Es war zuviel und die Erholungszeit fehlte!

Das alles hat auch einen Namen: „The delayed after Effekt“ nennt man das im Fachjargon. Das ist im Prinzip das nachhausetragen der Reizüberflutung. In der Schule reissen sich die Kinder zusammen – aber kaum Zuhause – in Sicherheit, bricht es dann aus. GNADENLOS.
Und die Lehrer können gar nicht nachvollziehen von was Eltern da sprechen. Das Kind ist in der Schule doch ganz anders… *augenroll* Vorraussetzung eines solchen „delayed after Effekts“ ist aber immer eindeutig die vorausgegangene Überforderung. Und damit meine ich definitiv nicht den Lernstoff!!!

Es gibt autistische Kinder, die man mit einem Nachteilsausgleich von den Hausaufgaben befreien sollte. Verschiedene Strategien sollten zuvor ausprobiert werden. Aber wenn alle erfolglos geblieben sind, fragt es sich was dieses sture festhalten an den Hausaufgaben eigentlich bringen soll.

Hier möchte ich auch gerne Tony Attwood zitieren:

Wenn Hausaufgaben mit solchen Qualen verbunden ist, was kann man tun, um die Verzweiflung zu reduzieren?
A) die des Kindes, daß durch den Schultag erschöpft ist,
B) Die der Eltern, die versuchen ihr Kind zu motivieren, und
C) Die des Lehrers, der feststellt, daß Hausaufgaben nicht gerade die effektivste Maßnahme sind ein solches Kind zu erziehen.
Wenn die reguläre Menge an Hausaufgaben verlangt wird, dann sollten sich alle darüber im Klaren sein, daß ein hoher Grad an Zeit und Einsatz von allen Beteiligten nötig ist um sicherzustellen, daß die Arbeit zufriedenstellend und pünktlich erledigt wird. Eine Option wäre es, dem Kind zu ermöglichen, seine ‚Hausaufgaben‘ in der Schule zu erledigen. Dies kann während der Essenszeit geschehen, oder vor oder nach Stunden im Klassenraum oder in der Schulbibliothek. Wie auch immer, sie brauchen immernoch Beaufsichtigung und Anleitung eines Lehrers oder Assistenten. In den höheren Klassen haben einige Kinder ihren abschluß geschafft, weil es ihnen gestattet war, weniger Fächer zu belegen und extra Zeiten in der Schule verbringen zu können, um ihre Hausaufgaben erledigen zu können.

Wenn alle diese Strategien erfolglos bleiben, was bleibt als Alternative? ‚Sollten Kinder mit einer autistischen Behinderung von
Hausaufgaben befreit werden?
‚ Wenn die Strategien, die in diesem Artikel aufgezeigt wurden erfolglos sind, oder es nicht möglich ist, sie anzuwenden, dann ist meine Antwort ‚Ja‘. Manchmal führt dieser Rat zu einer großen Erleichterung des Kindes, der Eltern, und wahrscheinlich seiner Lehrer. Dafür können Sie mich auch zitieren.“
(http://www.aspiana.de/neben/aufgaben.htm)

EINEN Grund gibt es für mich, nicht um diesen Nachteilsausgleich zu kämpfen (der ihm definitv zusteht) – nämlich der, dass ich so wenigstens noch einbisschen darauf schauen kann wo mein Sohn schulisch steht. Ich ihm mit meinen eigenen (autistischen) Worten alles nochmal erklären kann. An guten Tagen. Und das bringt ihm ziemlich viel.

Ich weiss, dass es mitunter nicht einfach ist das nachzuvollziehen. Weil ein NT eben nur schwer nachfühlen kann, wie anstrengend ein autistisches Leben ist.
Dennoch wünsche ich mir diesbezüglich mehr Verständins und Unterstützung.

Wenn dann endlich alles erledigt ist, sollte er ja noch fähig sein, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen…

Zumindest finden das die NT’s.

Ich frag euch jetzt mal: Mit welchen Löffeln soll er denn das tun?! Da müsst Ihr ihm schon welche über lassen! Er wünscht sich Freunde. Aber dafür bleibt oft keine Kraft.

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5 Antworten zu Hausaufgaben – *uffz*

  1. butterblumenland schreibt:

    Hat dies auf butterblumenland rebloggt und kommentierte:
    So sieht es bei Paul auch aus (nur ohne Medis). Das allerdings den Lehrern wirklich begreiflich zu machen ist ein riesiges Problem. In der Schule ist er ja „soooo unauffällig“, also muss das Problem zu Hause liegen. Denken sie und sagen das auch laut.

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  2. Anita schreibt:

    Exakt so – Genau so, bei allen vier Kindern

    Und auch der Grund, für den nichtbeantragten Nachteilsausgleich, derselbe.

    Und das gesellschaftliche Leben im Nachmittagsbereich, da ist bereits nach Schulende keine Kraft mehr für vorhanden, sonst ist ein Abkippen bereits am nächsten Morgen vor der Schule zu beobachten und mein Jüngster muss früher aus der Schule abgeholt werden, weil es NICHT MEHR GEHT!
    Da ist die Kompensationskraft dann einfach zu Ende.

    Und es ist absolut unabhängig von einer Medikation. Schule frisst einfach jegliche Kraft auf.

    Hier https://autistenbloggen.wordpress.com/2015/12/23/aber-du-siehst-gar-nicht-krank-aus-die-loeffeltheorie/ noch ein sehr guter Link zu Löffeltheorie. 😉

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  3. Kerstin Strohauer schreibt:

    Auch ich nutze die Hausaufgaben, um meinem Sohn nochmal Dinge zu erklären, die er in der Schule nicht verstanden hat. Ist er nicht mehr aufnahmefähig, gebe ich ihm einfach vor, was er schreiben soll. Er fühlt sich dann schlecht, weil er es nicht selbst gemacht hat, ist aber beruhigt, weil die Aufgabe erledigt ist. Gerade bei großen Aufgaben helfe ich viel, weil diese oft benotet werden.Über gute Noten freut sich mein Kind. Ist das Betrug? Warscheinlich schon. Aber ich sehe das als Ausgleich für vorenthaltenen Nachteilsausgleich und das Unverständnis mancher Lehrer. Würde mein Sohn fairer behandelt, müsste ich solche Mittel nicht anwenden.

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  4. Talyn schreibt:

    Liegt bei mir schon etwas zurück, aber kenn ich. Seit der ersten Klasse.

    Meine „Befreiung “ hab ich mir im späteren Verlauf selbst erteilt, allerdings hatte ich da für mich auch andere Wege zum lernen gefunden bzw. Gemerkt wie ich lerne. Ab da waren Hausaufgaben der andere „vergessene turnbeutel“. Was nicht heißt, dass ich wenn es machbar war die übungshefte nicht mitunter direkt nach dem Kauf im Bus freiwillig ausgefüllt hab, soweit ich jeweils konnte.

    Was mir in der Grundschule geholfen hätte, wäre etwas weniger Druck. Oder zumindest wenn durch wie eine Art „abholen durch die Lehrer“ das Unvermögen, Hausaufgaben „schnell und ohne Stress zu erledigen “ nicht auch noch selber als „dumm “ zu erleben…

    Sicher müssen Lehrer grundsätzlich sich an den Lehrplan halten, aber zumindest mal ein aufmunterndes Wort, ein anerkennen der wirklichen Leistung und des leistungswunsches sollte machbar sein…

    Perfektionismus ist ein starker antrieb und die größte bremse.

    Bevor es zur Befreiung kommt… Attwood hat recht.

    Vielleicht gelingt es dir mit deinem Sohn, auch peu a peu zu entdecken, über welche Kanäle er besser lernt…
    Der Erfolg da „zu können “ kann helfen den Druck zu reduzieren, „zu beweisen, dass er das lernen richtig macht „…

    Vielleicht (als Idee) wenn er durch Videos besser, entspannter lernt, damit einen übergang zu schaffen… Ne gut genutzte pause.
    Mir zumindest helfen Dokumentationen um „runter zu kommen „…Und sie befriedigen meinen Wissensdurst. Ab und an konnte ich das dabei erworbene wissen auch im Unterricht anwenden. Hatte den netten Bonus Effekt „klug“ zu wirken und so aus der beweislast entlassen zu sein…

    Ich hoffe dein Sohn erkennt irgendwann für sich, dass er langsam machen darf. Schließlich nimmt er schon Medikamente, nur dazu gehört auch sich den Minirebound mittags zu erlauben.

    Schade, dass schon Kinder sich mit sowas die Akkus leersaugen müssen. (nicht Medikamente sondern dieser Stress zusätzlich)

    Eigentlich müsste um sowas nicht gekämpft werden. Es sollte einleuchtend logisch sein…
    Und etwas mehr Herzlichkeit hat noch nie geschadet…

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  5. aspiemom schreibt:

    Ich bekomme Magenschmerzen, wenn ich das lese….
    Unser Sohn war auch perfektionistisch, durchstrukturiert bis in die sprichwörtlichen Haarspitzen…

    Das wurde ihm von den diversen Schulen gründlich ausgetrieben. Wer ist Schuld? Natürlich das Elternhaus…. Lehrer sind so dermaßen wenig kritikfähig, also Vorsicht!

    Wenn Ihr den Nachteilsausgleich formuliert: sei achtsam! Achte auf jeden einzelnen Satz, wäge jede Bedeutung ab, formuliere, wie DU es formulieren würdest, am besten noch mit xxx Anmerkungen und Erklärungen. Und dann, danach, bei der schulischen Umsetzung: viel Spaß (Ironie off)… und ja, ich bin demoralisiert, aber inzwischen wieder relativ entspannt.

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